Künstler im Skulpturenpark

Thomas Judisch

* 1981 in Waren (Müritz), lebt und arbeitet in Berlin und Kiel

Betritt man die weitläufige Parkanlage der Gerisch-Stiftung, fällt der Blick jenseits der Villa Wachholtz zunächst auf die hoch aufragende Hochsitzskulptur von Via Lewandowsky. Erst beim Abschreiten der Rasenfläche wird der Besucher der in einiger Entfernung unter den mächtigen Bäumen kauernden Kolonie von Erdhügeln gewahr. Beim Näherkommen stolpert er über die Anordnung, die eine liegende Acht ergibt. Haben wir es hier etwa mit einem mathematisch begabten, symbolistischen Maulwurf zu tun? Bei genauerer Inspektion zählen wir 22 identische Kopien eines einzigen Prototyps. Langsam regen sich Zweifel an der Authentizität der „Maulwurfshügel“ und ihrem unterirdischem Röhrensystem, und uns dämmert, dass es sich hier um ein Kunstwerk handeln könnte, das die Dialektik von Original und Fälschung, Vorbild und Abbild, Natur und Kunst verhandelt. It’s a Long Way to Heaven ist der Titel dieser subtilen Arbeit von Thomas Judisch, die sich nicht nur mit dem kunsthistorisch tradierten Thema des Trompe-l’oeil auseinandersetzt, sondern auch augenzwinkernd die seriellen Verfahren der Minimal Art und Konzeptkunst zitiert.

 

Die ebenfalls in der Sammlung der Gerisch-Stiftung befindlichen drei Radierungen aus der Werkserie Masterpieces thematisieren einen weiteren Aspekt in Judischs Werk: die Diskrepanz oder Bedeutungsverschiebung zwischen dem eigentlich Dargestellten und dem Weggelassenen. In diesen drei Kunstpostkarten, wie wir sie aus Museumsshops auf der ganzen Welt kennen, werden die Abbildungen klassischer „Meisterwerke“ antiker Skulpturen in der Übersetzung in die Radierung vollständig getilgt – es bleibt nur die Rückseite mit den Angaben zu Werktitel, Entstehungsdatum und Museum stehen. So wird der Betrachter aufgefordert, das Fehlende (Meisterwerk), zum Beispiel die Venus von Milo, vor seinem inneren Auge selbst zu rekonstruieren. Thomas Judisch stellt mit dieser Verfahrensweise implizit auch Fragen nach den Bewertungskriterien für einen kunsthistorischen Kanon und der Verankerung des Bildgedächtnisses in der Rezeption von Kunst.

 

Diese Dialektik im Werk von Judisch – einerseits der unbekümmerte und radikale Umgang mit den Meisterwerken der europäischen Kunstgeschichte (die zur Leerstelle degradiert werden) und andererseits die „Aufladung“ des Nebensächlichen, Alltäglichen mit Bedeutung (wie bei der Verewigung einiger profaner Maulwurfshügel) – ist imstande, die Grenze zwischen Hochkunst und angewandter Kunst, Hoch- und Populärkultur zu sprengen und uns immer wieder mit ihrem hintergründigen Humor zu überraschen.

 

Alexander Sairally (Aus: OutsideInside - 20 Jahre Herbert Gerisch-Stiftung)

  • TJ_long way
    Thomas Judisch, It’s a long way to heaven, 2014, GFK (Glasfaserverstärkter Kunststoff), lackierter Quarzsand, Sand, 22 Einzelobjekte, je 20 × 40 × 40 cm, Foto: Jens Sauerbrey
  • TJ_long way
    Thomas Judisch, It’s a long way to heaven, 2014, GFK (Glasfaserverstärkter Kunststoff), lackierter Quarzsand, Sand, 22 Einzelobjekte, je 20 × 40 × 40 cm
  • Thomas Judisch, It’s a long way to heaven
    Thomas Judisch, It’s a long way to heaven, 2014, GFK (Glasfaserverstärkter Kunststoff), lackierter Quarzsand, Sand, 22 Einzelobjekte, je 20 × 40 × 40 cm
  • Thomas Judisch, It’s a long way to heaven
    Thomas Judisch, It’s a long way to heaven, 2014, GFK (Glasfaserverstärkter Kunststoff), lackierter Quarzsand, Sand, 22 Einzelobjekte, je 20 × 40 × 40 cm
  • TJ_masterpieces
    Thomas Judisch, aus der Reihe "masterpieces", 2015, Radierung auf selbstgeschöpftem Papier, Blattgröße jeweils: 24 × 32 cm, Foto: Alexander Voss
  • TJ_Fliegen
    Thomas Judisch, Zwei Fliegen, 2014, Aquarell auf Büttenpapier, 2 Blätter, gerahmt, Blattgröße 1: 19 × 12,5 cm, Blattgröße 2: 19 × 13 cm, Foto: Alexander Voss